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Brief von Prof. Dr. Max Haas (Lupsingen) an den
Unirat
Sehr geehrter Herr Dr. Soiron,
ich arbeite als wissenschaftlicher Mitarbeiter und a.o. Prof. am Musikwissenschaftlichen
Institut. Während meines Studiums (1963-1970) studierte ich slavische
Philologie in Basel. Gestatten Sie mir, als Angehöriger dieser Universität
und ehemaliger Student der Slavistik etwas zum oben erwähnten Entscheid
des Universitätsrates zu bemerken. Meine Bemerkungen werden in die
Bitte münden, der Universitätsrat möge den Beschluss, die
slavische Philologie zu streichen, nochmals erwägen.
1. Durch unglückliche Umstände wurde das slavische Seminar in
Basel zwischen 1963 und 1970 fachlich regelrecht zerstört. Der Nachfolger
der dann pensionierten Ordinaria gab ein äusserst kurzes Gastspiel
und liess sich recht bald wegberufen. Erst dann begann Herr Kollege Guski
mit den lang dauernden Aufräumarbeiten. Dafür war er bereit,
Jahre der eigenen Forschungszeit zu opfern, um während unzähliger
Stunden die ganze Infrastruktur des slavischen Seminars so zu verbessern,
dass die heutigen, durchgehend gelobten Zustände überhaupt möglich
wurden. Sollte nach dieser par-force-tour ein Kollege mit der Streichung
des Faches „belohnt" werden, frage ich mich, wer die Idee "Universität"
überhaupt noch in Zeiten des katastrophalen Zustandes eines Instituts
zu leben bereit ist. Zumal es meine ausdrückliche Hochachtung hervorruft,
dass ein Bürger der BRD uneigennützig zur restaurativen Arbeit
an einem Seminar an einer Schweizer Universität bereit ist. Ich befürchte
sehr, dass mit der Schliessung des slavischen Seminars ein Zeichen gesetzt
wird, das weit über die Slavistik hinaus ebenso abschreckend wie
negativ wirkt.
2. Mein Hauptargument zu Gunsten einer Weiterexistenz des slavischen Seminars
in Basel bezieht sich auf einen Fehler, der heute recht allgemein und
unbemerkt existiert. Es wird immer wieder (durchaus auch in Hochschulen,
in der Armee, in Wirtschaft und Industrie) der Unterschied zwischen „eine
Sprache können" und dem philologischen Umgang mit einer Sprache
verwechselt. Im ersten Fall sind Ergebnisse irgendwelcher Kurse gemeint,
die es einem erlauben, eine Sprache recht gewandt zu sprechen. Im zweiten
Fall geht es um die regelrechte Interpretation von Sprachinhalten. Gestatten
Sie mir, sehr geehrter Herr Dr. Soiron, das Gemeinte an drei Beispielen
zu verdeutlichen.
a.) Vor Jahren hat die damals noch Mercedes-Benz genannte
Firma unter der Ägide Ihres Chefs, des Herrn Edzard Reuter, in Japan
Gespräche mit den Verantwortlichen der Firma Mitsubishi geführt.
Herr Reuter, ein ganz gewiss nicht unbedarfter Mann, gab nach der Rückkehr
eine Pressekonferenz und verkündete die Ergebnisse der Firmengespräche.
Diese Ergebnisse wurden von der Firma Mitsubishi umgehend dementiert.
Die deutschen Dolmetscher hatten Gespräche nicht falsch übersetzt,
sondern deren Bedeutung falsch eingeschätzt, hiess es danach. Dazu
eine Nebenbemerkung: In Deutschland existiert an der Universität
Erlangen-Nürnberg eine C4-Stelle für Japanologie, deren Inhaber,
Prof. Dr. Peter Ackermann (übrigens ein Schweizer) auch die Aufgabe
hat, deutschen Wirtschaftsleuten beizubringen, wie man auf Englisch oder
Japanisch Gespräche mit Japanern führt. Die deutsche Wirtschaft
weiss offensichtlich, dass man die gleiche Sprache sprechend nicht unbedingt
die gleiche Sprache spricht. Auf den Reuters-Mitsubishi-Kontakt angesprochen
meinte Ackermann übrigens gelassen, es wäre ja ein Wunder, wäre
diese Panne nicht passiert. Dass solche Missverständnisse teuer sind,
muss ich Ihnen sich nicht darlegen.
b.) Vor Jahren fand in Basel an der Schola Cantorum Basiliensis
ein Treffen mit arabischen Berufsmusikern aus Marokko statt. Umgangssprache
war Französisch. Die arabischen Gäste waren sehr höflich
und gaben auf jede Frage Auskunft. Vier Jahre danach wurde ich nach Casablanca
zum Gegenbesuch eingeladen. Es zeigte sich, dass nicht eine einzige Auskunft
der Araber beim Basler Besuch stimmte. Die Gäste wollten uns in Basel
„nicht das Gesicht verlieren lassen" und haben darum jede Frage
„irgendwie" beantwortet. Aufgrund der Gespräche in Casablanca
muss ich heute sagen, dass diese eine Woche dauernden Basler Gespräche
in der Allerweltssprache Französisch sinnlos waren, weil wir die
Intentionen unserer Gäste nicht verstanden.
c.) Eines der unter Orientalisten bekanntesten Beispiele kam 2003 sogar
fast einen Tag lang in die Zeitung. Der Plot: Der Palästinenserführer
Yassir Arafat gibt meist in Pressekonferenzen eine Serie englischer und
dann eine Serie arabischer Statements. Vor den arabischen Angaben spricht
er die sogenannte basmala, die Anrufung Allahs, die anzeigt, dass er der
göttlichen Wahrheit verpflichtet sprechen will. Medienleute der ganzen
Welt übersetzen in solchen Situationen stets die englische Version,
während Araber natürlich die arabische für richtig halten.
Die Konfusion (die wir meistens in der Zeitung unerklärt wieder finden)
ist vorprogrammiert.
Heute lernen unzählige Menschen Russisch und andere slavische Sprachen;
doch kann die Ausbildung im Sprachverständnis nur durch eine philologische
Ausbildung garantiert werden. Momentan scheint noch alles recht einfach,
weil viele Russisch sprechenden Personen sich an uns aus einer asymmetrischen
Position, etwa einer Bittstellersituation wenden. Wenn dann aber mit Russland
sowie mit den Restvölkern der ehemaligen Sowjetunion in der Regel
kompliziertere wirtschaftliche Verhandlungen auf Russisch anstehen und
die andere Seite sich eben nicht mehr als Bittsteller sieht, dann fragt
sich spätestens, welches Fach denn überhaupt die dringend benötigten
Verständigungshilfen organisieren und anbieten kann. Es wird dann
die Zahl der slavischen Seminare in der Schweiz nicht ausreichen, wenn
Medienleute und Wirtschaftsführer verstehen, dass Verständigung
nicht die Handhabung von Wortgleichungen ist, sondern die Annäherung
von Mentalitäten und dass die Missachtung dieser Grundregel sehr
schnell sehr viel teurer wird als der Finanzbedarf eines slavischen Seminars
während 50 Jahren. Ich hoffe, dass wir in Basel bezüglich slavischer
Sprachen schneller reagieren als andere bezüglich japanischer und
arabischer Verständigungsprobleme.
Darum möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Dr. Soiron, bitten, mit
Ihrem Gremium den Entscheid der Schliessung des slavischen Seminars noch
einmal diskutieren zu wollen. Dabei wäre ich froh, wenn ein Brief
wie der meine kein Gewicht hätte, sondern wenn Sie die Darlegung
der Verständigungsprobleme den wirklichen Fachleuten, also Herrn
Kollegen Guski und dessen Mitarbeiterinnen sowie natürlich auch Herrn
Kollegen Haumann von der Ostgeschichte übertragen würden.
Mit freundlichen Grüssen
Prof. Dr. Max Haas
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