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Siechtum einer Wissenschaft
Die Situation der Slawistik an den Unis wird allmählich trostlos

Als die Menschen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs noch Feinde waren, war uns keine Mark zu schade, um ihre Sprache, ihre Geschichte und Kultur zu studieren. Jetzt, da sie endlich Freunde werden, haben Interesse und Generosität ein Ende. Während die Aufnahme von acht osteuropäischen Ländern in die EU vorbereitet wird, stirbt die Slawistik an den Universitäten im deutschen Sprachraum still und leise dahin.

Viele slawistische Seminare sind so stark gestutzt worden, dass sie den akademischen Betrieb kaum mehr aufrecht erhalten können: In Mannheim lehren nur noch pensionierte Dozenten und Aushilfen aus Heidelberg; Rostock nimmt keine Studenten mehr auf, weil der Studiengang demnächst eingestellt wird; im Saarland gibt es nach größeren Streichungen nur noch einen Lehrstuhl. Ein gründliches Studium wird dadurch unmöglich. Folglich bleiben die Studenten weg, wirken die Seminare "unterlastet", wird ihre Schließung absehbar. Der Tod kann aber auch plötzlich eintreten, wie jetzt in Frankfurt am Main. Dort ist vor kurzem Gudrun Langer, eine jüngere Professorin, gestorben. Ihr Kollege Gerd Freidhoff tritt bald in den Ruhestand. Der Fachbereich 9, dem das Institut angehört, soll laut Regierungsbeschluss acht Stellen einsparen. So wird die angeschlagene Slawistik zum Opfer: Alle acht Stellen sollen bei ihr eingespart werden.

Besonders tief ist der Einbruch in Nordrhein-Westfalen. Nach Münster und Bielefeld steht nun auch in Bonn einer von zwei Lehrstühlen zur Diskussion. Wieder kam der Anstoß aus dem Wissenschaftsministerium, das in der Slawistik ein Missverhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden diagnostiziert und die Universitäten um Sparvorschläge gebeten hat. Vor zwei Wochen hat das Rektorat der Uni Bonn ein Konzept vorgelegt: Wenn Helmut Keipert in zwei Jahren emeritiert wird, soll die Slawistik geschlossen und der verbleibende Lehrstuhl an das Bonner Institut für Osteuropäische Geschichte angegliedert werden.


Umgesiedelt nach Regensburg

Im Bereich Osteuropäische Geschichte sieht es vielerorts nicht besser aus. Vor allem Forschungsinstitute sind unmittelbar gefährdet. Das Land NRW will sich aus der Finanzierung des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts für Schulbuchforschung zurückziehen. Sollte dieses Beispiel Schule machen, wird das Institut seine Arbeit - es berät die Schulbuchkommissionen vieler osteuropäischer Länder - einstellen müssen. In Sachsen steht das Zentrum für Geschichte und Kultur Osteuropas an der Uni Leipzig zur Disposition.

Und dann München: Zwar wird sich die im März 2002 beschlossene Umsiedlung von drei Osteuropa-Instituten in das ehemalige Finanzamt von Regensburg um einige Jahre verschieben, weil der Umbau sich als aufwändiger herausgestellt hat als geplant; doch diese Zeit wird wohl kaum reichen, um der Stoiber-Regierung klarzumachen, dass sie ein einzigartiges Kompetenzzentrum zerstört, dass ein Südosteuropa-Institut ohne die Bayerische Staatsbibliothek, die die südosteuropäische Literatur sammelt, wenig Sinn macht. Schon hat die DFG mit Hinweis auf den Umzug die Hälfte des Bibliotheksetats des Instituts gestrichen. Hinzu kommt, dass das Fach Osteuropäische Geschichte vom Sterben der Slawistik indirekt betroffen ist, konnte sie sich doch bisher darauf verlassen, dass die Nachbardisziplin Sprachkenntnisse vermittelte, die für ein Geschichtsstudium unerlässlich sind. Aber der Verlust wird auch außerhalb der Wissenschaft bedauert. Beim Bund der deutschen Industrie schätzt man das Slawistikstudium als "wichtige Säule" bei der Vorbereitung auf einen beruflichen Einsatz in Osteuropa.

Der Hinweis auf "Unterlastung" soll in der Regel begründen, warum der Rotstift gezückt wird. Dabei wird nicht in Rechnung gestellt, dass Slawistik oft im Nebenfach studiert wird und daher eine niedrige Absolventenquote hat. Außerdem bringen nur die wenigsten deutschen Studenten sprachliche Grundkenntnisse mit. Das treibt den Personalaufwand in die Höhe. Andererseits stammen die meisten Slawistikstudenten inzwischen aus Osteuropa. In den Seminaren sitzen nur noch wenige Deutsche. So könnten sich die Regierungen darauf berufen, dass sie mit der Abwicklung den Willen der deutschen Gesellschaft vollstrecken, die offenbar kein Interesse an Sprache und Kultur der EU-Neulinge hat. Sie sollten sich aber auch fragen, inwieweit die desolate Situation der Slawistik zu diesem Desinteresse beiträgt.

Angesichts der öffentlichen Armut sind Einschnitte auch bei den Osteuropastudien unvermeidlich. Katastrophal ist jedoch die Art des Vorgehens. Ohne Rücksicht auf die Eigenheiten des Faches und auf gewachsene Strukturen wird gekürzt, wo es eben geht, biografischen Zufällen mehr gehorchend als überlegter Planung. Dass es auch anders geht, hat Baden-Württemberg bewiesen. Dort hatte der Rechnungshof 2002 gefordert, die fünf Standorte der Slawistik auf maximal zwei zusammenzuführen. Auf Antrag des Landtages bestellte das Wissenschaftsministerium zwei unabhängige Gutachter, die sich gegen den Plan aussprachen, mit der Begründung, dass "die Slawistik ein Fach von außerordentlicher kulturpolitischer und vor allem zunehmend wirtschaftlicher Bedeutung ist". Diese Einschätzung hat sich der Finanzausschuss in seinem Bericht, der am Dienstag veröffentlich wird, zu eigen gemacht.

CHRISTIAN JOSTMANN

(in: Süddeutsche Zeitung v. 01.03.04)

 

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