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Brief des Instituts f. Slavistik der Unversität Potsdam an den Unirat

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

mit Bestürzung haben wir von der Entscheidung des Baseler Universitätsrates gehört, dass an der Baseler Universität der Fachbereich Slavistik ersatzlos gestrichen werden soll. Wir möch-ten Sie dringend bitten, diesen Beschluss noch einmal zu überdenken und nach Möglichkeit zurückzunehmen. Gerade die Baseler Slavistik war, wie wir von unseren Schweizer Kolleginnen und Kollegen erfahren haben, dazu bestimmt gewesen, einen besonderen Schwerpunkt in der Bohemistik aufzubauen. Außer der Baseler Slavistik haben in der Schweiz nur noch die Universitäten in Bern und Zürich eine Bohemistik. Durch die ersatzlose Streichung des gesamten Instituts für Slavistik an der Universität Basel würde nicht nur die Schweizer Slavistik, sondern auch deren Bohemistik als integrativem Teil schwer geschädigt. Das wäre auch insofern besonders bedauerlich, als gerade die dortige Bohemistik sich international ein hohes Ansehen erworben hat.

Wir beobachten mit Sorge, dass in den europäischen Ländern seit dem Niedergang des kom-munistischen Machtsystems gerade die Fächer innerhalb der Slavistik von der gegenwärtigen Politik einer sogenannten „Profilbildung“ der einzelnen Universitäten besonders betroffen sind. In Deutschland kann man in dieser Hinsicht geradezu schon von einem Kahlschlag reden: Das große und traditionsreiche Institut der Universität Münster, das zuletzt mehr als 600 Studierende aufgewiesen hat, wurde vollständig aufgehoben, ebenso das Slavische Institut der Universität Rostock. Einzelne Slavische Fachbereiche wie die Bohemistik an der Universität Potsdam und die Slovakistik an der Humboldt-Universität Berlin (die einzelne Slovakistik in der gesamten Bundesrepublik Deutschland) wurden aufgehoben, und auch an der Universität Greifswald stand der in der Bundesrepublik einzigartige Lehrstuhl für Ukrainistik zur Streichung an – dieser Beschluss wurde zum Glück aufgrund einer internationalen Protestaktion zurückgenommen. Die genannten Fälle sind nur einige einer seit mehr als 10 Jahren beobachtbaren Spur der Zerstörung leistungsfähiger wissenschaftlicher Einrichtungen in der deut-schen Slavistik. Wir wissen auch, dass sogar das größte und älteste Institut für Bohemistik an der Universität Wien von Wirtschaftsvertretern Österreichs zur Aufhebung vorgeschlagen worden ist, was Gott sei Dank ebenfalls abgewehrt werden konnte. Von Fachkollegen aus Frankreich erfahren wir ähnliche abschreckende Vorgänge. Es ist Ihnen als den für einen einzigen nationalen Universitätsbereich Zuständigen vielleicht nicht mit aller Deutlichkeit be-wusst, welcher kulturelle Kahlschlag gegenwärtig in der europäischen Universitätslandschaft gerade mit Hinblick auf die slavistischen Einrichtungen im Gange ist. Die Begründungen für solche Schließungsbeschlüsse sind immer die gleichen: mangelnde kapazitäre Auslastung der einzelnen slavischen Sprachen oder der ganzen Institute, Zwang zur Konzentration und soge-nannter Profilbildung der Universitäten und schließlich, wenngleich dies seltener offen ausgesprochen wird, die Überzeugung der Entscheidungsträger, dass die slavischen Sprachen und Kulturen in der Zukunft für die europäischen Länder keine oder nur noch sehr geringe Rele-vanz haben werden.

Aus unserer Sicht handelt es sich gerade bei letztgenanntem Argument um einen gefährlichen Trugschluss. Wir erlauben uns, Ihnen aus einem Brief des Bundespräsidenten Johannes Rau an Herrn Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge anlässlich dessen Abschiedsvorlesung zu zitieren: „Ich bin überzeugt davon, dass gerade jetzt, da Ost und West in Europa zusammenfinden, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache, der Kultur und der Geschichte unserer östlichen Nachbarn besonders wichtig ist. Das Wort vom ´Konjunkturfach des Kalten Krieges‘, das Sie zitieren, sollte all jene beschämen, die meinen, auf die Slawistik an deutschen Universitäten verzichten zu können [...] Ich werde mich deshalb auch weiterhin dafür einsetzen, dass die verstärkte Förderung einzelner, anwendungsrelevanter Wissenschaftsbereiche – so richtig diese Förderung ist – nicht zu Lasten anderer, kleinerer Fächer geht, die zwar für die wirtschaftliche Entwicklung weniger interessant, deswegen aber für die Wissenschaft und für unsere Gesellschaft nicht minder wichtig sind.“ (Quelle: 07.09.2002 abgedruckt im Bulletin der Deutschen Slavistik, Organ des Verbandes der Hochschullehrer für Slavistik, Nr. 9, 2003)

Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass die Europäische Union im Jahre 1992 die „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ erlassen hat, durch die die kulturelle und sprachliche Vielfalt Europas geschützt werden muss. Diesen Vertrag haben mittlerweile alle der Europäischen Union angehörigen Länder unterschrieben und haben sich damit auch gesetzlich zur Bewahrung zum Schutz sämtlicher in Europa gesprochener Sprachen (einschließlich Minderheiten- und Regionalsprachen) verpflichtet. Bei der letzten Konferenz der Euro-päischen Union hat die Organisation „European Bureau of Lesser Used Languages“ (Europäisches Büro für Sprachminderheiten) Brüssel (http://www.eblul-bic.be) noch einmal ganz ausdrücklich auf die Bedeutung der mittel- und osteuropäischen Sprachen und Kulturen hingewiesen. Auch unter diesem Aspekt bitten wir Sie höflich, den vom Universitätsrat gefassten Beschluss zu überdenken und nach Möglichkeit zu revidieren.

Schließlich möchten wir auch auf einen wichtigen wirtschaftlichen Aspekt hinweisen, der immer wieder von den grenznahen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland betont wird. Der Freistaat Bayern und der Freistaat Sachsen als unmittelbare Nachbarn Tschechiens haben u. a. ein Bohemicum in Regensburg und mehrere deutsch-tschechische Schulen in Pirna und Umgebung eingerichtet. Während das Bohemicum Regensburg für die Ausbildung von Fach-leuten in der Wirtschaft eingerichtet wurde, ist die Bedeutung in den deutsch-tschechischen Schulen für den bilateralen Austausch zwischen deutschen und tschechischen Kindern und Jugendlichen von hoher Relevanz. Tschechien wird ab Mai 2004 ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner Deutschlands, die Bundesrepublik wird dabei auch eine wichtige Funktion als Transitpartner für die Schweiz erfüllen. Sicherlich werden sich die Repräsentanten der Tschechischen Republik die Frage stellen, welche Bedeutung die Schließung von bohemisti-schen Instituten in der Schweiz in diesem Zusammenhang haben soll. Beim letzten Besuch des Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik, Vladimir Špidla, in Berlin wurde noch einmal deutlich, welche Bedeutung die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowohl für den bilateralen als auch für den europäischen Austausch künftig haben soll. Wir sind sicher, dass auch die Schweiz künftig mit Tschechien einen wichtigen politischen und wirtschaftlichen Partner bekommt; daher kann auf eine fundierte Ausbildung der Bohemistik im Bereich der Kultur, Landeskunde, Mentalität, Literatur und Sprache auch in der Schweiz nicht verzichtet werden.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Peter Kosta
Westslavische Sprachwissenschaft

Prof. Dr. Herta Schmid
Westslavische Literaturen und Kulturen

Institut für Slavistik
Universität Potsdam

 

 

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