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Die slavische Welt, Basel - und die Slavistik (Prof. Dr. R. Marti)

Die Schweiz liegt im Herzen Europas, und darum sollte und muss Europa der Schweiz auch am Herzen liegen. Und das ist auch so. Unabhängig von der Einstellung zur Europäischen Union ist die Erkenntnis in der Schweiz allgemein verbreitet, dass gute Beziehungen zu den europäischen Staaten (über)lebenswichtig sind. Daraus ergibt sich als wichtige Konsequenz, gründliche Kenntnisse von diesem Europa ausserhalb der Landesgrenzen zu haben. Die Frage ist nur: welches Europa? Es ist leider eine Tatsache, dass viele (übrigens nicht nur in der Schweiz) eine, freundlich ausgedrückt, selektive Vorstellung von Europa haben: die “psychologische Landkarte" stimmt nicht mit der geographischen überein. Zum engeren Europa gehören auf dieser psychologischen Landkarte natürlich zunächst einmal die fünf unmittelbaren Nachbarn der Schweiz, dann West-, Nord- und Südeuropa und die Britischen Inseln. Damit ist dieses Europa komplett.

Ein Blick auf die Landkarte zeigt die Einseitigkeit dieser Europa-Bilds. So sind die Hauptstädte Griechenlands oder Finnlands, die beide zu diesem Europa gehören, weiter entfernt von Basel als die Hauptstädte Albaniens, Bosniens und der Hercegovina, Bulgariens, Kroatiens, Mazedoniens, Moldaviens, Polens, Rumäniens, Serbiens und Montenegros, der Slovakei, Sloveniens, der Tschechischen Republik, Ungarns, der Ukraine und der baltischen Staaten. (Nur Moskau liegt noch weiter ab.) Alle genannten Staaten hatten früher eine Gemeinsamkeit: sie lagen (mit Ausnahme des seither zerfallenen Jugoslaviens) hinter dem Eisernen Vorhang. Den gibt es zwar in der Wirklichkeit nicht mehr, aber offenbar immer noch in den Köpfen vieler Menschen. Und die Mehrzahl dieser Staaten hat eine weitere Gemeinsamkeit: sie sind slavischsprachig. Das ist der andere Grund, warum sie auf der psychologischen Landkarte fehlen, und es ist der gewichtigere: für viele besteht Europa aus der Germania und der Romania (ohne Rumänien, das ohnehin oft fälschlich zur Slavia gerechnet wird); alles andere ist quantité négligeable. Das stimmt natürlich nicht.

Betrachtet man das slavische Sprachgebiet in Europa, so ist es eindeutig grösser als das romanische oder germanische. Auch bei der Zahl der Muttersprachigen hat die Slavia in Europa die Nase vorn: es sind annähernd 300 Millionen (zum Vergleich: die Germania und die Romania kommen in Europa auf etwas über 200 Millionen). Und schliesslich stammt die grösste Einzelsprache in Europa aus dieser Gruppe: das Russische. Das Bewusstsein, dass die Slavia selbstverständlich zu Europa gehört, war übrigens früher viel stärker verbreitet als heute. Das Evangeliar Ottos III., das um das Jahr 1000 im Kloster Reichenau entstand, enthält auf Folio 23v/24r wohl eine berühmte Darstellung dieser Europa-Vorstellung. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Otto III., lässt sich darauf von vier Personifikationen der Provinzen des Reiches huldigen: Roma, Gallia, Germania und Sclavinia. Einige Jahrhunderte später legte Kaiser Karl IV. in der Goldenen Bulle von 1356 fest, dass die künftige regierende Elite in drei Sprachen ausgebildet werden müsse und bestätigte damit indirekt die Dreisprachigkeit des Reiches. Die drei Sprachen waren “Theutonicum ydioma", “Italica" und “Slavica" (lingua). (Dies ist auch für die Schweiz von Bedeutung, denn zu Zeiten Ottos III. gehörte ihr heutiges Gebiet selbstverständlich zum Reich, im 14. Jahrhundert mindestens noch de iure.)

Aber auch spezifische Schweiz- und sogar Basel-Bezüge zur slavischen Welt gibt es, welche die Zugehörigkeit der Slavia zu Europa bestätigen. In der Offizin Froben in Basel erschien 1537 ein “Lexicon Symphonum, in welchem die Übereinstimmung und der Gleichklang der vier bekannten Sprachen Europas, nämlich Griechisch, Latein, Deutsch und Slavisch, gezeigt wird". Verfasser war Sigismundus Gelenius. In der Widmung an Hieronymus Froben sagt er von diesen Sprachen, dass sie “heute allein ganz Europa weit und breit einnehmen". Das Werk erlebte in wesentlich erweiterter Form 1544 sogar eine zweite Auflage. Auch persönliche Kontakte gab es seit dieser Zeit, verstärkt ab dem 18. und vor allem 19. Jahrhundert (wirtschaftlich motivierte Migration aus der Schweiz, politisch motivierte aus slavischsprachigen Gebieten). Im 20. Jahrhundert waren es vor allem die rückwandernden Russlandschweizer, die während des zweiten Weltkriegs internierten Polen und die Flüchtlinge aus der Tschechoslovakei, welche die slavische Welt und ihre Zugehörigkeit zu Europa ins schweizerische öffentliche Bewusstsein hoben.

Trotz dieser Beziehungen gehört, wie gesagt, für viele die slavische Welt nicht zu ihrem Europa-Bild. Die Konsequenzen einer solchen Einstellung sind schon von anderen sehr klar formuliert worden, und ich kann mich hier mit einem Zitat begnügen: “Wer heute zwar mit germanischen und romanischen Sprachen und der in ihnen ausgedrückten Kultur vertraut ist, sich aber der slavischen Welt gegenüber taub verhält, hat einen Mangel in seiner geistigen Ausbildung und ist nicht imstande, die geschichtlichen Zusammenhänge, die politischen, religiösen und sozialen Strömungen, die literarische und künstlerische Bewegung unserer Zeit zu überblicken und abzuschätzen." (Karl Krumbacher 1907). Wer kann hier gegensteuern und diese Vertrautheit mit Kultur und Sprachen von Germania, Romania und Slavia sicherstellen? Für die germanische und die romanische Welt besorgt das jetzt schon im Allgemeinen die Schule: für erstere über Französisch, Italienisch und auch Spanisch, für letztere über Deutsch und Englisch. Für den slavischen Bereich fällt diese Aufgabe fast ausschliesslich der Universität und in ihr der Slavistik zu. Damit hat die Slavistik eine doppelte Aufgabe: wie ihre neuphilologischen Schwesterdisziplinen bildet sie Studierende aus und forscht, aber darüber hinaus hat sie einen kulturellen Auftrag: sie ist Sachwalterin der slavischen Welt. Auf Slavistik zu verzichten heisst deshalb nicht nur ein Studienfach weniger zu haben, sondern ein Drittel Europas auszublenden. Und das macht eine solche Entscheidung so folgenreich. Der Basler Universitätsrat hat nun kund getan, dass er “die Ausbildung in Slawischen Sprachen nicht weiterzuführen gedenkt". Es verlohnt, bevor die “Begründung" dieser Absicht genauer betrachtet wird, kurz einen Blick auf die Geschichte zu werfen: welche Rolle spielte und spielt die slavische Welt an der Basler Universität?

Hier gibt es eine (im Vergleich zu den anderen schweizerischen Universitäten) lange kontinuierliche Tradition. Sie beginnt 1923 mit der Einrichtung eines Russischlektorats für Frau E. Mahler, eine zurückgekehrte Russlandschweizerin, die sich 1928 habilitierte und 1938 zur ausserordentlichen Professorin ernannt wurde, übrigens die erste Frau in dieser Position an der Basler Universität. Ihre Russland-Interessen teilte der Theologe Fritz Lieb, dessen umfangreiche Privatbibliothek als “Sammlung Lieb" heute auf der Universitätsbibliothek zur Verfügung steht. Durch ihre Nachfolgerin H. Schroeder (wieder eine Premiere: sie war die erste Ordinaria der Basler Universität) wurde die russische Ausrichtung zur Slavistik ausgeweitet; dazu kam noch die osteuropäische Geschichte. Obwohl das Slavische Seminar relativ klein ist, arbeitet es sehr erfolgreich. Ehemalige Studierende waren oder sind Lehrstuhlinhaber in Lausanne, St. Gallen, Saarbrücken, Bremen und Klagenfurt. Nachwuchskräfte, welche die Sprachwissenschaft in Basel vertraten, wurden nach Wien (zwei Lehrstühle) und nach Leiden berufen. Die nationale und internationale Resonanz auf die Tätigkeit der Basler Slavistik ist gut (Forschungsprojekte, Publikationen).

Nun zur “Begründung" des Universitätsrates. Zunächst verwundert, dass er von der “Ausbildung in Slawischen Sprachen" spricht. Sollte er wirklich nicht wissen, dass Slavistik mehr umfasst als Sprachausbildung? Dann sieht der Universitätsrat in der Slavistik “keinen für die Universität wichtigen Teil des Basler Profils". Die obigen Ausführungen sollten gezeigt haben, dass die Slavistik an der Universität Basel organisch gewachsen ist und in stärkerem Masse einen Bestandteil der Fakultät darstellt als an jeder anderen schweizerischen Universität. Das Studium ist zwar, hier ist dem Universitätsrat recht zu geben, an anderen Universitäten möglich, aber nicht in der gleichen Ausrichtung (Schwerpunkte im tschechischen und südslavischen Bereich). Ausserdem ist nicht sicher, ob die Studierbarkeit, zumindest in der Regio, auch in Zukunft gegeben sein wird. Der baden-württembergische Rechnungshof hat nämlich vorgeschlagen, die Zahl der Institute für Slavistik radikal zu reduzieren, und davon könnte auch Freiburg i.Br. betroffen sein. Der fehlende regionale Bezug, den der Universitätsrat feststellt, ergibt sich wohl aus dem Fach, aber das gilt auch für andere Philologien. Der Universitätsrat räumt ein, dass das Interesse an Slavistik gegeben sei, verweist aber auf die gegenwärtige Priorisierung. Das ist ein gefährliches Argument, denn Priorisierungen können sich sehr rasch ändern. Ein gestrichenes Fach lässt sich aber nicht von heute auf morgen einfach “reaktivieren". Der jahrzehntelange Ausbau der Slavistik im Westen geht letztlich auf den Sputnik-Schock zurück, der die Notwendigkeit der Beschäftigung mit der slavischen Welt augenfällig machte. Die politischen Ereignisse seit 2001 haben den Mangel an Orientalistik-Fachleuten deutlich werden lassen, der nicht einmal mittelfristig wettgemacht werden kann. Will man so etwas auch in der Slavistik in Kauf nehmen? Die studentische Nachfrage, als “nicht sehr gross" eingestuft, schöpft die Personalkapazität in einer für kleinere Fächer optimalen Weise aus, so dass die investierten Mittel gut genutzt werden. Die “Begründung" ist also insgesamt wenig stichhaltig.

Zum Schluss zwei Bemerkungen, die auch erklären, weshalb sich ein Saarbrücker Professor für Basler Universitätsplanung interessiert. Zum einen: ich bin selbst Absolvent der Slavistik in Basel, und ich habe in meiner Studenten- und Assistentenzeit die Arbeitsbedingungen und die Atmosphäre im Seminar kennen und schätzen gelernt. Gastlehraufträge habe mich in letzter Zeit wieder nach Basel geführt, und ich sehe das Institut jetzt nochmals aus einer anderen Perspektive. Besonders beeindruckt bin ich von den Studierenden und von den Nachwuchskräften. Es herrscht hier eine Ernsthaftigkeit, ein Engagement und ein Arbeitsethos, wie sie sonst nicht an vielen Orten anzutreffen sind. Es schmerzt, sich vorstellen zu müssen, dass all dies wegrationalisiert werden soll. Zum andern: meine jetzige Universität hat den Schritt, den der Basler Universitätsrat ankündigt, schon vor einigen Jahren getan. Und immer häufiger klagen mir Kolleginnen und Kollegen, dass das Fehlen der slavischen Welt, der slavistischen Kompetenz für die Universität und für ihr Fach sehr nachteilig ist. Aber jetzt ist es zu spät. Ich wünsche der Basler Universität, dass sich die zuständigen Gremien diesen Schritt noch einmal überlegen und dass sie sich nicht in einigen Jahren in der Situation Saarbrückens befindet.

Roland Marti, Universität des Saarlandes, Saarbrücken (D)

 

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